von Guido Kohl
Dies ist eine erweiterte Fassung des Beitrags, der im Transmitter 02/2020 erschienen ist.
In unserem täglichen Leben werden wir heutzutage ständig vom „Rechnen“ begleitet, wie z. B. an der Supermarktkasse, im Büro am Computer oder die Schüler*innen im Mathe-Unterricht. Wie ist dieses Rechnen entstanden und wie hat es sich entwickelt? Dies wurde Mitgliedern des VDE-Bezirksvereins Köln in einer Führung durch das Arithmeum in Bonn unter dem Thema „Rechnen einst und heute“ erläutert.
Diese Erläuterungen konnten teils an Originalen bzw. an originalgetreuen Objekten stattfinden, denn das Arithmeum präsentiert in seiner Dauerausstellung eine Auswahl von Rechenmaschinen aus seiner über 10.000 Exponate umfassenden Sammlung und ist damit weltweit führend.
Ergänzt wird diese Sammlung durch eine mehr als 3.000 Exponate umfassende Sammlung bibliophiler historischer Rechen- und Mathematikbücher, die bis in Gutenbergs Zeit zurückgehen. Begonnen bei den Rechenmeistern, wie z. B. Adam Ries (nicht: Riese), die erstmals in deutscher Sprache publizierten, bis hin zu Newtons „Principia Mathematica“ sind die Highlights der Mathematikgeschichte hier versammelt. Diese Sammlung gehört zu den weltweit besten ihrer Art.
Das „Rechnen“ bzw. Vergleichen kann man bis ins 4. Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgen. Im südlichen Mesopotamien wurden so genannte „Calculi“ als Merksteine unterschiedlicher Form und Größe für bestimmte Mengen von gewissen Handelswaren verwendet. Da das abstrakte Zählen noch unbekannt war, wurde immer objektbezogen eine Angabe gemacht, bzw. eine tatsächliche (Produkt-)Menge mit diesen Symbolsteinchen verglichen. Wurde ein Vertrag geschlossen, kamen die Tonsymbole in eine hohle Tonkugel. Ein Vertragsbruch hieß, dass die Tonkugel wieder aufgebrochen werden musste und die Objekte darin erneut in Augenschein genommen wurden. Dieses „Zähl“-Prinzip entwickelte sich über Tontafeln weiter, auf denen bereits Produkt und Menge angegeben wurden. Um etwa 300 v. Chr. entstand der Rechentisch, quasi eine Tischplatte, die in Zeilen und Spalten unterteilt war und auf der mit Platzhaltern, den sogenannten Rechenpfennigen, gerechnet wurde. Dabei entspricht ein Rechenpfennig auf der untersten Linie „1“, zwei Rechenpfennige auf der untersten Linie „2“, drei „3“ usw. Auf der Linie darüber hingegen bedeutet ein Rechenpfennig die Zahl „10“, zwei „20“, drei „30“ usw. In den Zwischenräumen hat der Rechenpfennig jeweils den fünffachen Wert der darunterliegenden Linie. Dieses „Rechnen auf den Linien“ wurde erst ab dem 15. Jahrhundert in Westeuropa vom „Rechnen mit der Feder“, also dem abstrakten Rechnen, abgelöst.
Mit den aufkommenden Naturwissenschaften trat deutlich hervor, dass das korrekte Lösen von Rechenaufgaben keinesfalls ein triviales Problem war, denn zu viele Rechenoperationen waren manchmal nötig. So konstruierte 1623 der Tübinger Professor Wilhelm Schickard die erste Rechenmaschine der Welt mit
einem mechanischen Zehnerübertrag. Als Mathematiker, Geodät und Astronom war Schickard an einer Möglichkeit, fehlerfrei und sicher zu rechnen, interessiert. Er erfand daher eine Rechenmaschine, von der er zwei Exemplare baute – eines für sich selbst und das andere für seinen Freund, den Astronomen Johannes Kepler.
Damit begann eine Entwicklung mechanischer Rechenmaschinen, die bis ins 20. Jahrhundert anhielt. Diese oft vergoldeten, prunkvollen Rechenmaschinen aus dem 17. und 18. Jahrhundert beeindrucken uns auch heute noch, aber auch unter ästhetischen und kunsthandwerklichen Gesichtspunkten. Sie landeten meist bei den Regenten in den Schatzkammern. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden solche Rechenmaschinen ausschließlich als Unikate gefertigt, da es keinen besonderen kommerziellen Bedarfgab. Von den wichtigen Entwicklungsstufen sind im Museum Exponate vorhanden, an denen die Funktionsweise vorgeführt wurde.
Aber auch eine Abwandlung der „reinen“ Rechenmaschine war vorhanden: die legendäre Enigma. An dieser Kryptographiemaschine wurde die Funktionsweise im Einzelnen demonstriert.
Die Veränderungen in Gesellschaft und Handel führten dann auch zu Weiterentwicklungen der mechanischen Rechenmaschinen, die etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts auch in Serie gebaut wurden. An solche in Büros oder als Registrierkasse vorhandenen Maschinen konnten sich manche Teilnehmer noch gut erinnern.
Etwa Mitte des 20. Jahrhunderts wurde dann die Mechanik in den Rechenmaschinen durch Elektronik ersetzt. Hierzu waren dann auch Ausstellungsstücke der ersten Rechner von Konrad Zuse zu sehen.
Mit dem Fortschreiten der Digitalisierung entstanden auch neue wissenschaftliche Zweige. So hat eine Trennung zwischen „Rechnen“ und „Mathematik“ erst in jüngerer Zeit stattgefunden. Früher wurde beiden Disziplinen von Mathematikern gleich viel Aufmerksamkeit, Interesse und Neugier entgegengebracht. Das lag vor allem daran, dass das korrekte Lösen von Rechenaufgaben keinesfalls als triviales Problem betrachtet wurde.
Heute kommt durch die Forderungen nach noch schnelleren, leistungsfähigeren und effizienteren Rechnern ein neuer Zweig der Mathematik ins Spiel, der der diskreten Mathematik. Bekanntermaßen hat der „Stromfluss“ eine endliche Geschwindigkeit wie auch Verluste. Nur durch Optimierung erzielt man beste Leistungen. Moderne höchstintegrierte Logikchips sind wohl die komplexesten Strukturen, die der Mensch bisher erdacht und gefertigt hat. An der Entwicklung dieser elektronischen Winzlinge, die mit atemberaubendem Tempo weitergeht, haben Methoden der Diskreten Mathematik einen besonderen Anteil, und die Entwicklung wäre ohne diese auch nicht möglich gewesen.
Je zuverlässiger die Mechanik einer Rechenmaschine funktionierte, desto größer wurde der Wunsch, noch schneller, komfortabler und besser zu rechnen. Je schneller das Rechnen durch die Digitalisierung wurde, desto größer wurden aber auch die Einsatzmöglichkeiten der Rechenhilfen, bis sie schließlich mit den heutigen Computern so vielfältig geworden sind, dass sie nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken sind. Dennoch ist die Aufgabe die Gleiche geblieben - ganz egal, ob sie mechanisch, elektronisch oder mikroelektronisch gelöst wird: Es wird immer „nur“ gerechnet!
Verwendung der Abbildungen mit freundlicher Genehmigung des Arithmeums.
© Arithmeum, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn